Berechnung von Kerben – Kerbspannung berechnen
Im Zuge der Konstruktion eines Bauteils ist es häufig notwendig die Kerbspannung zu berechnen, die aufgrund einer Kerbe entsteht. Durch die Kerbwirkung kann es zu frühzeitigem Bauteilversagen kommen, da sich an der Kerbe Spannungsspitzen bilden. Dieses Skript zeigt, wie man bei der Berechnung der Kerbspannung* vorgeht.
Kerbwirkung – Definition
Als Kerbwirkung bezeichnet man den Effekt einer ungleichen Spannungsverteilung, welche aufgrund einer Kerbe entsteht. Diese ungleiche Spannungsverteilung zeichnet sich durch Spannungsspitzen an der Kerbe aus. Hierzu kommt es, wenn ein Bauteil mit einer Kerbe auf Zug, Druck, Biegung, Scherung oder Torsion beansprucht wird.
Kerben entstehen bei der Konstruktion eines Bauteils durch folgende Einflüsse bzw. Elemente:
- Bohrungen
- Rillen
- Nuten
- Querschnittsübergänge / Querschnittsänderungen
Kerben berechnen
Die Kerbspannung ist die höchste Spannung, die an einer Kerbe auftritt. Sie stellt die Kerbwirkung dar. Um die Kerbspannung berechnen zu können, müssen mehrere Informationen zum betroffenen Bauteil vorhanden sein:
Notwendige Vorgaben zur Berechnung der Kerbspannung:
- Bauteilgeometrie
- Form der Kerbe (sie ist streng genommen Teil der Bauteilgeometrie)
- Belastung (Belastungsart, Höhe der anliegenden Kraft, etc.)
Berechnung der Kerbspannung
Die Kerbspannung σk kann mithilfe der Formzahl αk und der Nennspannung σN berechnet werden. Wie man beide Größen ermittelt wird im Folgenden beschrieben.
σk - Kerbspannung
αk - Formzahl
σN – Nennspannung
Berechnung der Nennspannung
Die Nennspannung σN ist die auf den kleinsten Querschnitt Amin bezogene Spannung. Die Spannungsspitzen, die aufgrund der Kerbwirkung entstehen bleiben hier unberücksichtigt.
N - Zugkraft [N]
Amin - kleinster Querschnitt [mm2]
σN - Nennspannung [N/mm2]
Für die Berechnung des kleinsten Querschnitts sehen wir uns zwei besonders typische Beispiele an. Es handelt sich dabei um einen Flachstab mit einer Bohrung und einen Rundstab mit einer Rille. Die Bohrung im Flachstab entspricht einer Kerbe, auch wenn das nicht gleich im ersten Ansatz logisch erscheint. Doch schließlich macht die Bohrung das gleiche wie eine Rille – sie verändert den belastbaren Querschnitt des Bauteils.
Der kleinste Querschnitt Amin ist in beiden Fällen relativ einfach zu berechnen:
Fall 1: Flachstab mit Bohrung
b - Breite
d - Durchmesser der Bohrung
h - Dicke des Flachstahls
Fall 2: Rundstab mit Rille
d - Durchmesser an der engsten Stelle
π - Kreiszahl
Ermittlung der Formzahl
Die Formzahl αk ist die zweite zu ermittelnde Größe, die wir für die Berechnung der Kerbspannung benötigen. Sie ist das Verhältnis von Kerbspannung zu Nennspannung – was uns bei der Ermittlung der Kerbspannung selbst jedoch an diesem Punkt nicht weiterbringt. Wir müssen die Formzahl auf einem anderen Weg herausfinden.
σk - Kerbspannung
αk - Formzahl
σN - Nennspannung
Die Formzahl ist abhängig von der Form und der Abmessung des Bauteils und der Art der Beanspruchung. Über die Formzahl kann die Kerbspannung σk berechnet werden. Will man für eine Kerbe die Formzahl ermitteln*, kann man dies entweder mit einem entsprechenden Diagramm oder einer Berechnungsformel tun.
Methoden zur Ermittlung der Formzahl αk:
a) über Diagramm
Über Diagramme ist es möglich die Formzahl - in Abhängigkeit von der Form der Kerbe und der Geometrie des Bauteils - herauszulesen.
b) über Berechnung
Ein zweiter Weg der Bestimmung der Formzahl ist die Berechnung. Folgende Formel gilt für symmetrische Rundstäbe:
(gilt für symmetrische Rundstäbe)
Zug/Druck:
A=0,10; E=1,60; G=0,11; k=0,55; l=2,50; m=1,50
Biegung:
A=0,12; E=4,00; G=0,10; k=0,45; l=2,66; m=1,20
Torsion:
A=0,40; E=15,0; G=0,10; k=0,35; l=2,75; m=1,50
Berechnung der Sicherheit bei Kerben
Um die Sicherheit bei Bauteilen mit Kerben zu berechnen, muss man die Kerbspannung als maßgebliche Größe verwenden. Sie stellt die maximal auftretende Spannung im Bauteil dar und ist mit der maximal erträglichen Spannung des Werkstoffs (i.d.R. die Streckgrenze Re oder Dehngrenze Rp0,2 ) ins Verhältnis zu stellen.
Welche Spannung als maximal zulässige Spannung herangezogen wird, hängt von der Art des Versagens ab. Man unterscheidet zwei Fälle:
1. Spröde Werkstoffe => Versagen durch Trennbruch
Das Versagen durch Trennbruch tritt bei spröden Werkstoffen auf. Wenn man von einem Trennbruch als Versagensart ausgeht, muss man als maximal erträgliche Spannung die Zugfestigkeit des Werkstoffs heranziehen.
SB - Sicherheit gegen Trennbruch – liegt i.d.R. zwischen 2 und 4
Rm - Zugfestigkeit des verwendeten Werkstoffs
σk – Kerbspannung
σN - Nennspannung
αk – Formzahl
Der Sicherheitsfaktor gegen Trennbruch liegt i.d.R. zwischen 2 und 4. Man kann die Berechnung auch umgekehrt vornehmen, so dass man eine maximal zulässige Spannung in Abhängigkeit von einem vorgegebenen Sicherheitswert erhält:
σzul – maximal zulässige Spannung
Für die Nennspannung σN gilt:
2. Duktile Werkstoffe => Versagen durch bleibende Verformung
Ein Materialversagen durch eine bleibende Verformung (plastische Verformung) kann bei duktilen Werkstoffen auftreten. Wenn man von einer plastischen Verformung als Versagensart ausgeht, muss man als maximal mögliche Spannung die Streckgrenze Re oder die 0,2%-Dehngrenze Rp0,2 des Werkstoffs heranziehen.
SF - Sicherheit gegen Fließen – liegt i.d.R. zwischen 1 und 2
Re - Streckgrenze
Rp0,2 - 0,2%-Dehngrenze
σk – Kerbspannung
σN - Nennspannung
αk – Formzahl
Der Sicherheitsfaktor gegen plastische Verformung liegt i.d.R. zwischen 1 und 2. Man kann die Berechnung der Sicherheit auch über die maximal zulässige Kerbspannung in Abhängigkeit von einem vorgegebenen Sicherheitswert durchführen:
σzul – maximal zulässige Spannung
Für die Nennspannung σN gilt:
Berechnung der Stützwirkung
Die Stützwirkung kommt bei Bauteilen mit Kerben zum Tragen, wenn er duktiler Werkstoff eingesetzt wird – also ein Werkstoff, der über eine gewisse Fließfähigkeit verfügt. Während spröde Werkstoffe bei einer überhöhten Belastung brechen, neigen duktile Materialien dazu zu fließen.
Durch das Fließen verformt sich das Bauteil plastisch, wodurch Spannungsspitzen abgebaut werden, bevor die Nennspannung die Streckgrenze überschreitet. Dieser Effekt wird als Stützwirkung bezeichnet und kann über die Stützziffer n0,2 berücksichtigt werden.
Unter Berücksichtigung der Stützziffer, kann man die Sicherheit gegenüber Fließen und die zulässige Spannung wie folgt berechnen:
n0,2 - Stützziffer
Wertebereich für die Stützziffer
- Die Stützziffer kann dabei Werte im folgenden Bereich annehmen: 1 ≤ n0,2 ≤ αk
- Da spröde Werkstoffe über keine Stützwirkung verfügen wird die Stützziffer hier zu 1 (n0,2 = 1).
- Bei Werkstoffen mit besonders ausgeprägtem Fließverhalten gilt n0,2 = αk . Hier hat eine Kerbe bei statischer Belastung keine Wirkung, da die Stützwirkung die Kerbwirkung* neutralisiert.